Qualitätsmanagement in der
Betreuung behinderter Menschen

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Die Einführung von Qualitätsmanagement (QM) ist in den letzten Jahren Anforderung für fast alle Institutionen im sozialen Bereich geworden. Man könnte allerdings manchmal zu dem Schluß kommen, dass es sich dabei um eine Modeerscheinung handelt und daß man seitens der Betriebsleitung ein QM-System deshalb einführen will, weil es die anderen auch tun. Im Angebot findet man heute „QM-Handbücher“ und „QM-Zertifikate“ von Anbietern mit renommierten Namen, die einer Institution das gewünschte Etikett verleihen, ohne daß viel Aufwand dafür betrieben werden muß. Betrachtet man die Sache dann genau, entsteht häufig der schale Eindruck eines Etikettenschwindels. Der Sinn des Ganzen bleibt den beteiligten Mitarbeitern eher verborgen, und sie sind eher froh, wenn sie wieder zum Alltagsgeschäft übergehen können und das Getöse um das Qualitätsmanagement wieder in Vergessenheit gerät. Ein solches Vorgehen diskreditiert nicht nur das wirkliche Bemühen sozialer Einrichtungen um hohe Qualität in ihrer Arbeit, sondern es verpaßt auch die Chance, die Organisation sozialer Institutionen und die Formen und Inhalte ihrer Arbeit selbst dahin gehend zu verändern, dass die Betreuung hilfsbedürftiger Menschen und der Einsatz der dafür zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel optimiert wird. Um dem Leser eine Bewertung von Qualitätsmanagement bzw. von Qualitätsmanagement- Systemen zu ermöglichen, möchte ich zunächst darstellen, wie sich QM entwickelt hat und dann ausführen, was die notwendigen Komponenten des QM-Systems in Einrichtungen sind, die behinderte Menschen betreuen bzw. mit behinderten Menschen zusammen arbeiten.

Herkunft des Qualitätsmanagement

Der Begriff „Qualitätsmanagement“ stammt aus der Industrie. Er bezeichnet nicht ein bestimmtes Verfahren oder eine bestimmte Methode zur Herstellung von Qualität eines bestimmten Produktes, er legt auch nicht fest, was Qualität ist, sondern er bezeichnet im Grunde eine Unternehmensphilsophie, die sich auf alle im Unternehmen arbeitenden Personen sowie auf die Organisation des Unternehmensaufbaus und der Produktionsabläufe bezieht. Am QM sind nicht einzelne Mitarbeiter eines Unternehmens sondern ist jeder Mitarbeiter beteiligt. Vorläufer des Qualitätsmanagement war die Qualitätskontrolle. Ein Qualitätskontrollsystem ist dadurch gekennzeichnet, daß das fertige Produkt vermessen und aussortiert wird, wenn es bestimmte Meßwerte nicht erfüllt. Dieses Verfahren der Aussonderung fehlerhafter Produkte erwies sich mit der Intensivierung und Internationalisierung des Wettbewerbs als zu teuer: Wenn man ein fertiges Produkt erst reparieren muss, bevor man es verkaufen kann, bzw. wenn man es ganz aussondern muß, entstehen Kosten, die alle anderen Produkte verteuern. Der Wettbewerber, der weniger Fehler produziert, hat weniger Kosten und kann seine Produkte am Markt günstiger anbieten. Damit ist der Sinn eines QM-Systems in der industriellen Produktion klar definiert: Es sollen unnötige Kosten vermieden werden, damit man im Wettbewerb bestehen kann. Ein QM-System in der produzierenden Industrie hat den Sinn und Zweck, Fehler in der Herstellung von Produkten von vorn herein zu vermeiden.Im weltweiten Wettbewerb sind viele Versuche damit gemacht worden, wie man eine solche fehlerfreie Produktion erreichen kann. Lange Zeit hatten dabei japanische Unternehmen die
Nase vorn. Da die Japaner am Weltmarkt mit hoher Qualität bei günstigen Preisen besonders erfolgreich waren, schauten sich europäische und amerikanische Unternehmen deren Vorgehensweisen ab und übertrugen und verbesserten sie. Auf diese Art entwickelte sich ein weltweiter Lernprozeß für den Aufbau und Ablauf von Produktionen, der zu gewaltigen Rationalisierungsfortschritten führte. Rationalisierung heißt in diesem Zusammenhang, weniger Kosten für die Herstellung eines Produktes durch die Vermeidun
g von Fehlern. Inzwischen beschäftigen sich weltweit staatliche oder öffentliche Institute mit dem Sammeln und Verarbeiten von Erfahrungen in der Organisation von Qualität. In Deutschland ist es zum Beispiel das Deutsche Institut für Normierung (DIN), das wiederum Mitglied von Institutionen ist, die internationale Standards entwickeln. In den bekannten DIN- Normen 9000 – 9004 und in weiteren Normen werden diese Erfahrungen ständig verarbeitet und aktualisiert. Allen im Bereich der Wirtschaft entwickelten Qualitätsmanagementsystemen, ist der grundlegende Gedanke gleich: die Person, die das Produkt (eine Ware oder eine Dienstleistung) herstellt, ist selbst und persönlich für dessen Qualität verantwortlich. Sie selbst und nicht eine andere Person verfügt über die Fähigkeit und Meßinstrumente, mit Hilfe derer sie Qualität überprüfen und dokumentieren kann. An die Stelle der Fremdkontrolle und Fremdverantwortung tritt die Selbstkontrolle und Selbstverantwortung. Die unterschiedlichen Ansätze des QM unterscheiden sich in dem Weg dahin, nicht jedoch in diesem Grundgedanken.

Übertragung des QM auf den sozialen Bereich

Wie ist man nun auf den Gedanken gekommen, ein Managementmodell aus der Wirtschaft auf den sozialen Bereich zu übertragen? Traditionell gibt es im Sozialwesen keinen „Wettbewerb“ bzw. keine Konkurrenz wie im Bereich der Wirtschaft. Statt dessen wurden die finanziellen Mittel und Aufgaben seitens staatlicher Instanzen nach einem Proporzsystem verteilt, das an weltanschaulichen, meist konfessionellen Gesichtspunkten ausgerichtet war. Ein Markt existierte fast nicht. Auf diese Weise entstanden soziale Versorgungsmonopole, deren Arbeitsqualität eher durch die weltanschauliche Bindung als durch die Überprüfbarkeit der Arbeitsergebnisse gewährleistet war. (Eine große Ausnahme für den Bereich der Behindertenhilfe stellte in diesem Zusammenhang die Lebenshilfe dar, die aus den Bedürfnissen der betroffenen Familien entstanden ist und bei der die Erwartung an die Qualität der Arbeit zunächst von den betroffenen Familien selbst formuliert
wurde. Mit der zunehmenden Institutionalisierung ging allerdings die Lebenshilfe den selben Weg der Qualitätsentwicklung wie auch die übrigen großen Sozialträger.)
Qualität wurde im Laufe der 70er und 80er Jahre durch einen ständig zunehmenden „Input“ definiert. Dieser Input bezog sich in erster Linie auf die Anzahl und Ausbildung der in den Institutionen tätigen Mitarbeiter. Man kann diese Phase kurz auf einen Nenner bringen: Je mehr Personal beschäftigt war und je höher die durch Aus- und Weiterbildungsabschlüsse nachgewiesene Qualifikation der Mitarbeiter war, um so höher war die Qualität des Arbeitsergebnisses. Ich nenne dieses die Phase des „Schein- Qualität“, weil sie durch die (Abschluß-) Scheine der Mitarbeiter nachgewiesen wurde. Es war dies gleichzeitig eine Phase starker personeller Aufrüstung in sozialen Einrichtungen, verbunden mit einer stetigen intensiven Kostensteigerung. Diese Phase wurde relativ abrupt, ca. 1992, beendet, als der Zustand der öffentlichen Kassen ein weiteres Wachstum nicht mehr zuließ. Kurz danach begannen auch die ersten Überlegungen dahingehend, QM-Systeme aus der Wirtschaft zu übernehmen. Dabei spielten zwei Gesichtspunkte eine Rolle: 1. eine weitere Steigerung des Inputs in Form personeller Aufrüstung waren finanziell nicht mehr möglich, und 2. bei näherem Hinsehen war der waren finanziell nicht mehr möglich, und 2. bei näherem Hinsehen war der Eindruck entstanden, daß Qualifikation und Menge des Personals noch nicht automatisch zu einem guten Arbeitsergebnis („Output“) führten. Das weitere Schwinden der finanziellen Ressourcen in den kommenden Jahren verstärkte diesen Prozeß. Und da insbesondere bei kirchlichen Institutionen die Möglichkeit verschwand, Eigenmittel einzusetzen, begann sich ein Wettbewerb um die öffentlichen finanziellen Mittel zu entwickeln. Mit der Begrenzung der finanziellen Ressourcen rückt die Frage des Erhalts des weltanschaulichen Proporzes in den Hintergrund. Statt dessen stellt sich die Frage: Wie können wir die begrenzten Mittel optimal im Sinne eines Arbeitsergebnisses nutzen? Zum ersten mal ist jetzt im Sozialwesen ein Preis – Leistungsverhältnis gefragt und die Qualitätsanforderungen werden daran ausgerichtet. Das „koste es, was es wolle“- Prinzip der Vergangenheit wird abgelöst durch das Preis – Leistungsprinzip. Damit sind die Bedingungen für die Übernahme eines Qualitätsmanagements aus der Wirtschaft gegeben. Qualitätsmanagement hat letztendlich die Aufgabe, das Verhältnis von Aufwand und Ertrag (Preis und Leistung) in der Wettbewerbssituation so zu optimieren, dass der Hersteller eines Produkts oder einer Leistung sich dauerhaft am Markt halten kann.

Die Komponenten eines QM-Systems in Institutionen der Behindertenbetreuung

1. Das „Produkt“ sozialer Arbeit

An dieser Stelle möchte ich mich beim Leser dafür entschuldigen, wenn ich die doch sehr technisch anmutende Terminologie des QM für die Arbeit mit Menschen benutze, allerdings hat sich der Sprachgebrauch auch in sozialen Einrichtungen heute so weitgehend darauf eingelassen, dass es im Moment schwer fallen würde, sich auf eine andere Terminologie zu verständigen. Zunächst ist es notwendig, sich Gedanken darüber zu machen, was das „Produkt“ oder besser das Ergebnis der Arbeit mit behinderten Menschen ist. Allgemein kann man es so formulieren: Der behinderte Mensch soll ein Maximum seiner persönlichen Ressourcen in das gesellschaftliche Leben einbringen können, er soll sein eigenes Leben in der Gesellschaft leben können. Dies soll im folgenden näher erläutert werden. Dabei sei darauf hingewiesen, daß ein QM-System nicht beschreibt, was Qualität ist, sondern es beschreibt, wie definierte Qualitätskriterien erreicht werden können. Was Qualität ist, muß gemeinsam von „Kunden“ und vom Produzenten definiert und beschrieben werden. Wir wollen hier für die Arbeit mit behinderten Menschen den Versuch einer Definition machen. Dabei gehen wir von dem grundgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz aus, der u.a. beinhaltet, dass ein behinderter Mensch nicht weniger „Person“ als jeder nicht behinderte Mensch ist und dass er, wie jeder andere auch das Recht hat, als Individuum mit einer persönlichen Identität am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Behinderung bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes, als daß die Person in ihrer selbstinitiativen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gehandikapt ist. D.h. der behinderte Mensch kann die Umsetzung seiner persönlichen Möglichkeiten und damit die Wahrung seiner persönlichen Identität in der Auseinandersetzung mit allen anderen Menschen in dieser Gesellschaft nicht alleine erreichen. Damit er dennoch, wie jeder nicht behinderte Mensch, seine Identität wahren kann, werden ihm von und gegebenenfalls auf Kosten der Gemeinschaft eine oder mehrere Personen mit genau diesem Auftrag zur Verfügung gestellt. Im Klartext, die Gesellschaft stellt dem behinderten Menschen einen oder mehrere nicht behinderte Menschen zur Verfügung, die den Auftrag haben, dabei mit zu helfen, daß er gemäß seinen Möglichkeiten in der Gesellschaft leben kann. Es muss darauf hingewiesen werden, daß es nicht das Hauptziel sein kann, in einem therapeutischen Sinne die Behinderung zu beseitigen, sondern daß die Behinderung durchaus als Bestandteil der Person, als Merkmal der Person angesehen werden kann. Behindertenhilfe ist, wie alle soziale Arbeit, keine funktionale oder apparative Hilfe, sondern sie ist das Ergebnis des Zusammenwirkens zweier grundsätzlich eigenständiger Persönlichkeiten, wobei der nicht behinderte Mensch seine persönlichen Ressourcen einsetzt, um die Ressourcen des behinderten Menschen kennenzulernen und diese in sein Handeln und das Handeln der gesellschaftlichen Umgebung zu integrieren. Die fachliche Ausbildung des Betreuers (Helfers) ist dabei ein Hilfsmittel. Das Wesentliche jedoch ist das Zusammenwirken von Mensch zu Mensch, von Persönlichkeit zu Persönlichkeit.

Meßbarmachen des Produktes
Wenn wir aufgrund des Vorhergesagten soziale Arbeit als produktive Tätigkeit betrachten und diese mit einer produktiven Tätigkeit in der Wirtschaft vergleichen, können wir feststellen, dass der Ablauf noch am ehesten mit dem Entwurf und der Herstellung einer „Einzelanfertigung“ vergleichbar ist. Soziale Arbeit und auch die Betreuung behinderter Menschen kann in keinem Fall „Serienproduktion“ sein und zwar in doppelter Hinsicht nicht: 1. ist kein behinderter Mensch dem anderen gleich und 2. ist kein Betreuer (Helfer) dem anderen gleich. Für die Darstellung der Qualität der Arbeit und des Arbeitsergebnisses in der sozialen Arbeit können wir kaum auf allgemein anwendbare oder statistische Meßverfahren zurückgreifen. Wir können ebenso wenig allgemeingültige Zielvorgaben benutzen. (Wenn wir es dennoch tun, wird die konkrete Arbeit in dieser Darstellung nicht mehr abgebildet.) Wir müssen statt dessen ein Vorgehen entwickeln, das den Erbringer der Leistung dazu veranlaßt und ihn darin unterstützt, die Systematik seiner Tätigkeit im Einzelfall darzustellen. Dazu benötigen wir ein System, innerhalb dessen im Einzelfall Ziele gesetzt, Inhalt, Form und Größe des Aufwandes geplant, die Umsetzung dokumentiert und die Zielerreichung überprüft wird. In der Behindertenarbeit ist das persönliche Zur-Verfügung-stehen einer nichtbehinderten Person für den behinderten Menschen selbst schon Produkt, ausgehend von der Annahme, dass der behinderte Mensch auf sich allein gestellt seine Existenz in der Gesellschaft nicht gewährleisten kann. Die Darstellung der Ergebnisqualität setzt sich demnach aus zwei Komponenten zusammen: 1. dem eingesetzten persönlichen Betreuungsaufwand (gemessen in Stunden) und 2. dem Erreichen der individuellen Betreuungsziele (gemessen durch die Einschätzung von Auftraggeber und Leistungserbringer).

Zieldefinition und Vertragspartnerschaft
Will man die Qualität einer Einzelanfertigung überprüfbar machen, muß vorher ein Entwurf für das beabsichtigte Ergebnis entwickelt werden. Es reicht nicht aus – wie dies in der sozialen Arbeit häufig geschieht- im Nachhinein und rückblickend festzustellen, daß man das, was man erreicht hat, auch hat erreichen wollen. Die zu erreichenden Ziele können natürlich nicht allein vom „Produzenten“, dem Leistungserbringer, definiert und beschrieben werden, sondern sie sind das Ergebnis einer gemeinsamen vertraglichen Festlegung von Auftraggeber und Auftragnehmer.
Hier ergibt sich in der Arbeit mit behinderten Menschen schon die erste Komplikation. Wer ist der Auftraggeber? Relativ einfach ist die Frage nur bei einem körperbehinderten und sonst nicht weiter behinderten erwachsenen Menschen zu beantworten. Dieser kann seine Interessen allein vertreten und mit dem Anbieter einer Leistung eigenständig einen Vertrag aushandeln. Bei behinderten Kindern ist die Situation in der Regel auch eindeutig. Hier vertreten die Eltern als Erziehungsberechtigte ihre Kinder. Deren Interesse gegenüber dem Anbieter, ihre Vertragspartnerschaft ist zusätzlich z.B. im KJHG untermauert. Komplizierter stellt sich die Situation bei geistig behinderten erwachsenen Menschen dar. Der manchmal von Anbietern vertretenen Meinung, der erwachsene geistig behinderte Mensch könne auch alleiniger Vertragspartner sein, kann aus der Sichtweise des QM nicht zugestimmt werden. Zu Recht könnte dem Anbieter unterstellt werden, daß er dem eingeschränkt geschäftsfähigen behinderten Menschen eigennützig manipuliert und ihm eine Zustimmung suggeriert. Dies kann nur vermieden werden, indem der gesetzliche Betreuer bzw. die betreuenden Angehörigen in den Prozeß der Zieldefinition und Auftragsgestaltung einbezogen werden. Am kompliziertesten stellt sich die Situation bei psychisch behinderter Menschen dar, die z. B. aufgrund einer chronischen Psychose nur zeitweise oder vorübergehend geschäftsfähig sind. In jedem Einzelfall wird man abzuwägen haben, ob der gesetzliche Betreuer oder der behinderte Mensch selbst oder beide Vertragspartner sind. Vom Anbieter ist zu erwarten, daß er die Ziele konkret und vorausschauend setzen kann. Je konkreter die Ziele gesetzt werden, um so leichter ist es, Kriterien zur Überprüfung der Zielerreichung zu beschreiben und damit die Qualität der Arbeit im Ergebnis nachzuweisen. Zusammen mit dem oder den Auftraggebern werden die Betreuungsziele für einen definierten Zeitraum (z.B. 1/4 Jahr) schriftlich festgehalten. Termin und Methode der Zielüberprüfung werden zusammen mit der Zielvereinbarung festgelegt.

Planung des Betreuungsaufwandes
Der Zeitaufwand und auch der persönliche Einsatz, den ein Betreuer bringen kann, ist begrenzt. Da er in der Arbeit mit behinderten Menschen in der Regel nicht nur eine Person, sondern eine Gruppe von Personen betreut, da weiterhin die Betreuung meist arbeitsteilig erfolgt, muß Art, Inhalt und Größenordnung des Aufwandes geplant werden und Bestandteil der Betreuungsvereinbarung sein. Insbesondere Kostenträger werden zukünftig verstärkt darauf achten, dass der vereinbarte Personalaufwand auch tatsächlich erbracht wird, da durch diesen Aufwand der größte Teil der Kosten erzeugt wird.

Dokumentation der Betreuung
Die Dokumentation der Arbeitsleistung (der „Produkterstellung“) ist eins der Kernstücke jedes QM-Systems. Insbesondere aus der Alten- und Krankenpflege sind Dokumentationssysteme bekannt, die die Tätigkeit der Schwestern und Pfleger minutiös erfaßt. Diese Systeme beziehen sich allerdings ausschließlich auf den Pflegebedarf. Die gepflegte Person als solche ist in der Dokumentation nicht erkennbar. Aus diesem Grunde sind solche Systeme zur Dokumentation der Arbeit mit behinderten Menschen ungeeignet.
Der Ausgangspunkt jeder Dokumentation sollte eine Beschreibung des betreuten Menschen und seiner persönlichen Ressourcen sein. Diese Beschreibung soll den betreuten Menschen als eine von der Institution und institutionellen Betreuung unabhängige Persönlichkeit darstellen, als Person also, die etwas Eigenständiges in den Betreuungsprozeß einzubringen hat und die nicht erst durch die Betreuung entsteht. Die Erweiterung und Ausdifferenzierung der Darstellung der Person ist bleibende Aufgabe der Dokumentation. Die Dokumentation soll weiterhin darstellen, wie die Planung und Durchführung von Maßnahmen unter Einbeziehung der persönlichen Ressourcen des Betreuten, des Betreuers und den Möglichkeiten der Institution geplant und durchgeführt werden. Sie soll die Zieldefinition enthalten, sowie die Vereinbarungen zur Überprüfung der Zielerreichung.

Fehler in der Betreuung
Von den Vertragspartnern der Betreuung wird gemeinsam eine Liste möglicher Betreuungsfehler erstellt. Diese Liste berücksichtigt die Erfahrungen aller Beteiligten. Wenn im Einzelfall Betreuungsfehler auftreten, werden diese als Fehlerbericht in der Dokumentation festgehalten. Die Fehlerbehebung bzw. zukünftige Fehlervermeidung ist Aufgabe der gesamten leistungs-erbringenden Institution.

2. Organisationsaufbau im QM-System

Wie wir schon weiter oben dargestellt haben, ist soziale Arbeit und somit auch die Arbeit mit behinderten Menschen eine Zusammenarbeit von Person zu Person. Damit ist die Person selbst die kleinste Einheit, im Gegensatz zu medizinischen Ansätzen, in der z.B. eine Organik kleinste Einheit sein kann, mit der man arbeitet. Im QM-System ist die wichtigste Person auf seiten der leistungserbringenden Institution diejenige, die direkt mit dem Betreuten zusammenarbeitet, also z.B. die Gruppenleiterin in einem Kindergarten, die Gruppenbetreuer in einem Wohnheim oder die Gruppenleiter in der WfB. Wir nennen sie in der QM-Terminologie „Prozeßeigner“. Die gesamte Institution hat die Aufgabe, unter den gegebenen äußeren Verhältnissen dafür zu sorgen, daß diese Personengruppen die gesetzten Qualitätsanforderungen in ihrer Arbeit erreichen können. Traditionelle, administrativ orientierte Organisationsformen sind hierzu nicht geeignet. Statt dessen muß ein personenorientierter Organisationsaufbau entwickelt werden, der auf dem Grundsatz persönlicher Verantwortung beruht und der es ermöglicht, jede Maßnahme und Entscheidung mit der persönlich verantwortlichen Person in Verbindung zu bringen. Im folgenden möchte ich diesen Organisationsaufbau kurz skizzieren.

Bezugsbetreuersystem
Das Bezugsbetreuungssystem hat die Hauptaufgabe, ein lückenloses, persönlich verantwortetes Informationsmanagement zu gewährleisten. Der Bezugsbetreuer verfügt über alle in der Institution zugänglichen Informationen über den Betreuten. Er ist verantwortlich für die Dokumentation und für die Festsetzungen und Überprüfung von Zielen. Er ist weiterhin Ansprechpartner für externe Auftraggeber bzw. Vertragspartner, sofern es seinen Betreuten direkt betrifft. Der Bezugsbetreuer arbeitet unmittelbar mit dem Bezugsbetreuten zusammen, Bezugsbetreuung ist auf Langfristigkeit und Kontinuität angelegt.
Der Bezugsbetreuer ist nicht die einzige Person in der Institution, die eine persönliche Beziehung zum Betreuten hat. Allerdings wissen alle anderen Personen, die mit dem Betreuten zusammenarbeiten, daß sie alle wesentlichen den Betreuten betreffenden Informationen an den Bezugsbetreuer weitergeben.

Das Prinzip der persönlichen Führung
Wenn das Mensch zu Mensch die Grundlage sozialer Arbeit sei, bedeutet Organisation das Zusammenfügen und die Nutzung individueller persönlicher Ressourcen. Damit ist die vorrangige Aufgabe von Führungspersonen definiert. Dies gilt für jede Leitungsebene. Führung heißt, die persönlichen Qualitäten und Ressourcen jedes Mitarbeiters in den Gesamtprozeß der Organisationseinheit zu integrieren. Dies resultiert aus der persönlichen Zusammenarbeit des Leiters mit jedem seiner Mitarbeiter. Die zweite Hauptaufgabe des Leiters liegt darin, jedem einzelnen Mitarbeiter das Gesamtprodukt der Organisation verfügbar und transparent zu machen.
Die in sozialen Einrichtungen häufig vorzufindenden „Doppelspitzen“ sind zur Wahrnehmung eines solchen QM-Orientierten Führungskonzepts ungeeignet, da sie einerseits zu aufwendig und kostenintensiv sind und da sie andererseits häufig die persönliche Verantwortung für die Integration des Gesamtprodukts an die untergeordnete Ebene abgeben. Im Grundsatz sollte deshalb kein Mitarbeiter mehr als eine verantwortliche Führungsperson haben. Eine wichtige Größe in einem von unten nach oben sich entwickelnden personenorientierten Organisationsaufbau ist die Leitungsspanne. Auf keiner Führungsebene sollte eine Leitungsspanne von 12 Personen über- und von 4 Personen unterschritten werden, da ansonsten selbst beim besten Willen der Beteiligten ein personenorientiertes Organisationssystem in ein administratives übergeht (wenn die Leitungsspanne zu hoch ist, hat die Leitungsperson zu wenig Zeit für die einzelnen Mitarbeiter, wenn sie zu niedrig ist, ist sie mit ihrer Aufgabe nicht ausgelastet und muß sich „Arbeit beschaffen“). Als Richtlinie kann gelten, daß eine Leitungsperson für jeden Mitarbeiter eine Stunde Zeit pro Woche für persönliche Gespräche bzw. persönliche Zusammenarbeit zur Verfügung stellt. Eine besondere Bedeutung kommt den Führungspersonen der unteren Organisationsebene, also den Leitern der Bezugsbetreuer, zu. Sie sind nicht nur verantwortlich für die Integration jedes Mitarbeiters in das Team, sie sind auch die Berater ihrer Mitarbeiter in konkreten fachlichen
Fragen, wie Zielplanung und Erstellung der Dokumentation im Einzelfall. So zeigt z.B. die Erfahrung in Behindertenwohnheimen, daß vielen Bezugsbetreuern das Formulieren und schriftliche Fixieren von Zielplanungen schwerfällt und daß ihre diesbezügliche Motivation nur erhalten bleibt, wenn sie dabei direkte Unterstützung durch ihre Leitungsperson erfahren.
Die Leitungstätigkeit der unteren Ebene erfordert eine Freistellung. Gleichzeitig Leiter und Bezugsbetreuer zu sein, ist in einem QM-System nicht möglich.

Transparenz der ökonomischen Wertschöpfung
Der einzige Ort, an dem in einer sozialen Einrichtung „Geld verdient“ wird, ist da, wo direkt mit den Klienten zusammengearbeitet wird. QM braucht motivierte, selbstbewußte Mitarbeiter, die den Wert, auch den ökonomische Wert, ihrer Arbeit einschätzen können. Nur solche selbstbewußten Mitarbeiter können sich an der Entwicklung und dem Verkauf der „Produkte“ aktiv beteiligen. Nur wenn jemand den ökonomischen Wert seiner Arbeit kennt, kann er daran interessiert sein, die verfügbaren finanziellen Mittel rationell und kostenbewußt einzusetzen. Ein funktionierendes QM-System setzt Aufwand und Ertrag (Preis und Leistung) miteinander
ins Verhältnis und beteiligt daran die gesamte Institution. Es stellt zeitnah den Mitarbeitern aller hierarchischen Ebenen Kennzahlen zur Verfügung, die diesbezüglich ihren Verantwortungsbereich abbilden und die es ihnen ermöglichen, den Erfolg ihrer Arbeit im Vergleich zu anderen selbst zu bewerten.
Nach außen hin, gegenüber dem Kunden, vor allen Dingen aber gegenüber dem Kostenträger, stellt ein solches System die Umsetzung der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel in Betreuungsleistung dar, wie es z.B. heute in Ansätzen von § 93 BSHG gefordert wird. Um diesen Anforderungen zu genügen, muß die Einrichtung über ein kaufmännisches Rechnungswesen und ein differenziertes zeitnahes Controllingsystem verfügen.

Qualitätshandbuch und Zertifizierung
Zum Schluß meiner Ausführungen möchte ich noch einige Bemerkungen zum Sinn des Qualitätshandbuches und einer Zertifizierung machen.
Das Qualitätshandbuch ist – ebenso wie die Zertifizierung – nicht das QM-System und es wird im Grunde in einem QM-System auch nicht gebraucht. Es hat ausschließlich die Aufgabe, ein
bestehendes QM-System abzubilden. Es kann einerseits dazu dienen, für Außenstehende, also Kunden, potentielle Kunden oder Auftraggeber, Kostenträger usw. das Vorhandensein eines QM-Systems und seiner Elemente darzustellen. Es kann weiterhin dazu dienen, diese QM-Systeme nach innen für die Mitarbeiter der Einrichtung darzustellen. Dies ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn sich die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit in dem QM-Handbuch wiederfinden und wenn sie es nicht als Funktion einer administrativen Reglementierung bzw. als Etikettenschwindel empfinden. In diesem Fall hat ein QM-Handbuch eher eine qualitätsmindernde als eine qualitätsfördernde Wirkung. Bei der Erstellung eines Handbuchs wird man sich in der Regel an den Vorgaben der DIN-ISO 9000 ff. orientieren, muß allerdings diese Vorgaben an die Gegebenheiten des sozialen Bereichs anpassen. Wenn man die DIN-ISO 9000 ff. für die Erstellung des Handbuchs zugrunde legt, wird man feststellen, daß es nicht mit der einmaligen Herstellung getan ist, sondern dass das Handbuch kontinuierlich ergänzt bzw. erneuert werden muß. Eine Organisation, die nach dem QM-Prinzip aufgebaut ist, lernt, entwickelt und verändert sich ständig. Dies muß das QM-Handbuch abbilden. Mit der Zertifizierung des QM-Systems durch einen externen Zertifizierer verhält es sich ähnlich wie mit dem Handbuch. Zum heutigen Zeitpunkt (1999) ist eine Zertifizierung weder notwendig noch sinnvoll. Selbst der von den Einrichtungsträgern erhoffte Marketingeffekt schwindet aufgrund der inflationären Zertifizierungspraxis dahin, wenn er denn jemals bestanden hat. Ein Zertifizierungsverfahren wäre erst dann sinnvoll, wenn sich die Kostenträger mit den Anbietern auf verbindliche Standards für die Darstellung des „Output“ einigen könnten. Das ist im Moment jedoch noch nicht absehbar.

Abschließende Bemerkungen
Die heute von der politischen Öffentlichkeit und von den Kostenträgern geforderte Einführung von Qualitätsmanagement in sozialen Institutionen beinhaltet eine große Chance. Die Chance nämlich, die Arbeit einer sozialen Einrichtung grundlegend zu überdenken und zu reorganisieren mit dem Ziel, einer Ergebnisorientierung im Sinne einer Konzentration auf die Persönlichkeit und Individualität des Betreuten. Die in der Wirtschaft entwickelten QM-Systeme können dabei mithelfen, administrative Strukturen in Frage zu stellen und zu verändern, die weniger am Ergebnis ihrer Arbeit als am Erhalt ihrer selbst orientiert sind. In dieser Hinsicht kann und muss das Sozialwesen von den Erfahrungen der Wirtschaft lernen.
Der Entschluß für die Einrichtung eines QM-Systems muß in der obersten Leitung einer Einrichtung fallen. Diese sollte den Entschluß nicht als Mitmachen einer Mode verstehen, sondern als Zukunftsinvestition für die Existenz der Einrichtung, die Zufriedenheit der Mitarbeiter und letztendlich für eine qualitativ hochwertige und fehlerfreie Betreuung der Menschen, die ihr Leben nicht oder noch nicht ganz eigenständig gestalten können.